Anna ist enttäuscht: Auch diesmal hat sie die wohlverdiente Beförderung nicht bekommen. Hat das etwa mit ihren Fitness-Daten zu tun? In ihrer Not wendet sie sich an eine geheimnisvolle Firma, die Abhilfe verspricht. Schließlich hat sie keine Wahl, wenn es mit der Karriere klappen soll – oder?
Vorsichtig steckt Anna ihren Kopf durch die Bürotür.
„Bin ich hier richtig?“, fragt sie und wedelt mit einem bunten Flyer.
„Klar, immer rein”, antwortet eine freundliche weibliche Stimme, „ich heiße Daniela“.
Daniela, jung, irgendwo zwischen seriös und freizeitlich gekleidet, deutet einladend auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Anna nimmt Platz und schaut sich unsicher um. Sie hat eine Art Verbraucherschutzverein oder Bürgerrechtsorganisation erwartet, aber dieses Büro hier könnte auch einem Makler gehören oder einem Versicherungsverkäufer. Außer Daniela, ihrem Schreibtisch und dem Stuhl davor, auf dem Anna jetzt sitzt, ist der Raum praktisch leer.
Daniela spürt Annas Unsicherheit, aber statt mit Smalltalk das Gespräch langsam in Gang zu bringen, stellte sie eine direkte Frage in den Raum.
„Du hattest also schonmal Ärger wegen deiner sportlichen Leistungen?“
„Nicht wirklich Ärger“, sagt Anna, „aber die Beförderung zur Abteilungsleiterin letztens, die ging an mir vorbei. Und als ich nachfragte, hieß es, die Firma fühle sich wohler, wenn ein sportlicher, leistungsfähiger Mensch auf dieser Position säße.“
„Ja, der Scheuring-Erlass und seine Folgen”, nickt Daniela, „solche Geschichten höre ich seit 2022 immer wieder. Als die Arbeitgeber-Lobbyisten mit diesem Erlass den Datenschutz in Sachen persönlicher Sport-Daten quasi abschafften, war das ja sogar ihr Argument: Die Arbeitgeber hätten ein Recht darauf, zu wissen, ob jemand für eine Position leistungsfähig genug sei. Deswegen dürfen sie jetzt die Fitness-Apps ihrer Mitarbeiter einsehen.”
„Aber ich arbeite in einer IT-Firma. Da ist es doch absolut egal, ob ich sportlich oder unsportlich bin! Wir haben Aufzüge im Gebäude. Selbst wenn ich zu unbeweglich wäre, eine Treppe zu steigen, könnte ich als Abteilungsleiterin arbeiten!“
„Sportlichkeit ist inzwischen ein völlig überschätzter Aspekt. Aber was will man machen, wenn die Leute alles mögliche darauf projizieren? Ehrgeiz, Disziplin, Ausdauer: Das glaubt Dir heute kein Personaler mehr, wenn du ihnen das nicht auf einer Sport-App zeigst“, sagt Daniela ernst.
Daniela genießt die Pause und die darin wohnende Spannung. Sie weiß, was jetzt kommt.
Anna sieht abwechselnd auf Daniela und auf den bunten Flyer, den ihr auf der Straße jemand in die Hand gedrückt hat: „Ärger wegen Scheuring-Erlass?” steht darauf, und: „Wir helfen!”
„Wie könnt Ihr denn helfen?”, will Anna wissen. „Stellt Ihr eine Petition online, gegen den Erlass? Organisiert Ihr eine Demo?”
„Weder noch”, antwortet Daniela.
Sie legt eine Lauf-Uhr und einen EKG-Brustgurt auf den Tisch; handelsübliche Geräte, wie sie auch viele Hobby-Sportler tragen.
„Verknüpfe einfach diese Geräte mit deiner Fitness-App. Alles Weitere übernehmen wir.”
„Was heißt ‘alles Weitere’? Was passiert dann?”
„Du wirst nach und nach zu einer Sportskanone, zumindest in deiner App. Und auf die kommt es ja an. Die beiden Geräte speisen ihre Daten laufend dort ein, egal wo sie gerade sind.”
„Das macht Ihr einfach so?”
„Der erste Monat ist kostenlos. Wenn Du weitermachen willst, zahlst Du eine monatliche Gebühr. Aber Du kannst jederzeit kündigen! Kein Risiko!”
Anna überlegt. Sie kennt diese Frau und diese seltsame Firma gar nicht. Soll sie denen einfach so Zugriff auf ihre Sport-App gewähren? Andererseits: Was hat sie zu verlieren? Im aktuellen Zustand sind die Daten ihrer App nichts anderes als ein Beleg ihrer Unsportlichkeit. Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen. Kurz entschlossen koppelt Anna die beiden Geräte mit ihrer Fitness-App.
„Und jetzt?” will Anna wissen.
„Jetzt musst Du nur noch deine App beobachten, wie sie Dich langsam zur Fitness-Championissima macht.”
Anna verlässt das Büro und geht nachdenklich durch die Straßen. In der nächsten Beförderungsrunde würde man sie wohl nicht mehr übergehen. Und falls sie doch irgendwann ein komisches Bauchgefühl haben sollte, kann sie die Fitness-App ja wieder ausstellen. Anna lächelt vorfreudig.
Daniela tütet derweil die beiden Fitness-Geräte ein. Mit ihnen lassen sich nicht nur via Bluetooth Daten in Annas Accounts einspeisen, sondern auch per USB, mithilfe eines PCs, der überall stehen kann.
Der EKG-Gurt wird auf die Philippinen gehen. Dort schwitzen inzwischen hunderte junge Männer im Auftrag der Firma den ganzen Tag in Fitness-Buden und tragen dabei etliche fremde EKG-Gurte. Die Lauf-Uhr wird hingegen in der Stadt bleiben, damit die per GPS aufgezeichneten Laufrouten plausibel erscheinen zu Anna Leben – sollten ihre Chefs mal einen Blick darauf werfen. Nach Anfangsschwierigkeiten fand die Firma unter Schülern und anderen, die sich was dazu verdienen wollten, jedoch genügend Menschen, die bereit sind, täglich mehrfach zehn Kilometer zu laufen und dabei ein paar Uhren zu tragen.
Daniela weiß, Anna wird ihr Abo nicht kündigen. Sie wird karrieretechnisch sehr schnell abhängig sein, von den eingespeisten Fitness-Daten. Eine sichere Umsatzbringerin. Doch vielleicht hat Daniela eine Sache unterschätzt: Annas Bauchgefühl.
Lizenz: Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0).
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Vorsichtig steckt Anna ihren Kopf durch die Bürotür.
„Bin ich hier richtig?“, fragt sie und wedelt mit einem bunten Flyer.
„Klar, immer rein”, antwortet eine freundliche weibliche Stimme, „ich heiße Daniela“.
Daniela, jung, irgendwo zwischen seriös und freizeitlich gekleidet, deutet einladend auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Anna nimmt Platz und schaut sich unsicher um. Sie hat eine Art Verbraucherschutzverein oder Bürgerrechtsorganisation erwartet, aber dieses Büro hier könnte auch einem Makler gehören oder einem Versicherungsverkäufer. Außer Daniela, ihrem Schreibtisch und dem Stuhl davor, auf dem Anna jetzt sitzt, ist der Raum praktisch leer.
Daniela spürt Annas Unsicherheit, aber statt mit Smalltalk das Gespräch langsam in Gang zu bringen, stellte sie eine direkte Frage in den Raum.
„Du hattest also schonmal Ärger wegen deiner sportlichen Leistungen?“
„Nicht wirklich Ärger“, sagt Anna, „aber die Beförderung zur Abteilungsleiterin letztens, die ging an mir vorbei. Und als ich nachfragte, hieß es, die Firma fühle sich wohler, wenn ein sportlicher, leistungsfähiger Mensch auf dieser Position säße.“
„Ja, der Scheuring-Erlass und seine Folgen”, nickt Daniela, „solche Geschichten höre ich seit 2022 immer wieder. Als die Arbeitgeber-Lobbyisten mit diesem Erlass den Datenschutz in Sachen persönlicher Sport-Daten quasi abschafften, war das ja sogar ihr Argument: Die Arbeitgeber hätten ein Recht darauf, zu wissen, ob jemand für eine Position leistungsfähig genug sei. Deswegen dürfen sie jetzt die Fitness-Apps ihrer Mitarbeiter einsehen.”
„Aber ich arbeite in einer IT-Firma. Da ist es doch absolut egal, ob ich sportlich oder unsportlich bin! Wir haben Aufzüge im Gebäude. Selbst wenn ich zu unbeweglich wäre, eine Treppe zu steigen, könnte ich als Abteilungsleiterin arbeiten!“
„Sportlichkeit ist inzwischen ein völlig überschätzter Aspekt. Aber was will man machen, wenn die Leute alles mögliche darauf projizieren? Ehrgeiz, Disziplin, Ausdauer: Das glaubt Dir heute kein Personaler mehr, wenn du ihnen das nicht auf einer Sport-App zeigst“, sagt Daniela ernst.
Daniela genießt die Pause und die darin wohnende Spannung. Sie weiß, was jetzt kommt.
Anna sieht abwechselnd auf Daniela und auf den bunten Flyer, den ihr auf der Straße jemand in die Hand gedrückt hat: „Ärger wegen Scheuring-Erlass?” steht darauf, und: „Wir helfen!”
„Wie könnt Ihr denn helfen?”, will Anna wissen. „Stellt Ihr eine Petition online, gegen den Erlass? Organisiert Ihr eine Demo?”
„Weder noch”, antwortet Daniela.
Sie legt eine Lauf-Uhr und einen EKG-Brustgurt auf den Tisch; handelsübliche Geräte, wie sie auch viele Hobby-Sportler tragen.
„Verknüpfe einfach diese Geräte mit deiner Fitness-App. Alles Weitere übernehmen wir.”
„Was heißt ‘alles Weitere’? Was passiert dann?”
„Du wirst nach und nach zu einer Sportskanone, zumindest in deiner App. Und auf die kommt es ja an. Die beiden Geräte speisen ihre Daten laufend dort ein, egal wo sie gerade sind.”
„Das macht Ihr einfach so?”
„Der erste Monat ist kostenlos. Wenn Du weitermachen willst, zahlst Du eine monatliche Gebühr. Aber Du kannst jederzeit kündigen! Kein Risiko!”
Anna überlegt. Sie kennt diese Frau und diese seltsame Firma gar nicht. Soll sie denen einfach so Zugriff auf ihre Sport-App gewähren? Andererseits: Was hat sie zu verlieren? Im aktuellen Zustand sind die Daten ihrer App nichts anderes als ein Beleg ihrer Unsportlichkeit. Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen. Kurz entschlossen koppelt Anna die beiden Geräte mit ihrer Fitness-App.
„Und jetzt?” will Anna wissen.
„Jetzt musst Du nur noch deine App beobachten, wie sie Dich langsam zur Fitness-Championissima macht.”
Anna verlässt das Büro und geht nachdenklich durch die Straßen. In der nächsten Beförderungsrunde würde man sie wohl nicht mehr übergehen. Und falls sie doch irgendwann ein komisches Bauchgefühl haben sollte, kann sie die Fitness-App ja wieder ausstellen. Anna lächelt vorfreudig.
Daniela tütet derweil die beiden Fitness-Geräte ein. Mit ihnen lassen sich nicht nur via Bluetooth Daten in Annas Accounts einspeisen, sondern auch per USB, mithilfe eines PCs, der überall stehen kann.
Der EKG-Gurt wird auf die Philippinen gehen. Dort schwitzen inzwischen hunderte junge Männer im Auftrag der Firma den ganzen Tag in Fitness-Buden und tragen dabei etliche fremde EKG-Gurte. Die Lauf-Uhr wird hingegen in der Stadt bleiben, damit die per GPS aufgezeichneten Laufrouten plausibel erscheinen zu Anna Leben – sollten ihre Chefs mal einen Blick darauf werfen. Nach Anfangsschwierigkeiten fand die Firma unter Schülern und anderen, die sich was dazu verdienen wollten, jedoch genügend Menschen, die bereit sind, täglich mehrfach zehn Kilometer zu laufen und dabei ein paar Uhren zu tragen.
Daniela weiß, Anna wird ihr Abo nicht kündigen. Sie wird karrieretechnisch sehr schnell abhängig sein, von den eingespeisten Fitness-Daten. Eine sichere Umsatzbringerin. Doch vielleicht hat Daniela eine Sache unterschätzt: Annas Bauchgefühl.
Lizenz: Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0).
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