Wer mehr über seine gespeicherten Daten wissen will, muss vielen Unternehmen mühsam hinterherlaufen. Besser wäre eine Bringschuld gegenüber den Kunden, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Andreas Oehler.
Unternehmen interessieren sich für ihre Kunden und sammeln Daten über sie. Ist das ein Problem?
Jedes Unternehmen sammelt über seine Kunden bestimmte Daten, etwa um nach einem Verkauf mit ihnen im Kontakt bleiben zu können. Das ist grundsätzlich auch nicht verwerflich. Die Kunden stimmen in der Regel zu, auch wenn sie vielleicht nicht immer ganz bewusst zur Kenntnis nehmen, ob die Daten zum Beispiel weitergegeben werden dürfen oder wie sie ausgewertet werden.
Das Ganze ist so lange in Ordnung, wie die Kunden davon wissen und Einfluss darauf nehmen können, ob und wie ihre Daten verwendet werden, natürlich unter Einhaltung aller Rechtsvorschriften.
Schwieriger wird die Einschätzung, wenn die Daten anonymisiert oder pseudonymisiert weiterverarbeitet werden und aus den Profilen zum Beispiel bestimmte Gruppen gebildet werden. Als Kunde haben Sie das möglicherweise erlaubt. Sie werden dann als Teil einer Gruppe angesprochen – jedoch ohne zu wissen, dass Sie zu dieser Gruppe gehören. Sie merken dies etwa, wenn Sie sich nicht erklären können, warum Sie bestimmte Werbebotschaften erhalten.
Die entscheidende Frage liegt aus meiner Sicht aber eher darin, was Sie alles nicht mehr erfahren, weil Sie in bestimmten Gruppenprofilen stecken.
Marketing für passende Lebensphasen
Der Handel interessiert sich besonders dafür, biografische Wendepunkte vorherzusagen, zum Beispiel eine Geburt oder Hochzeit. Was macht diese Informationen interessant?
Das ist ganz praktisches Marketing, schon in der analogen Welt. Es gibt Lebensphasen, in denen bestimmte Produkte und Dienstleistungen stärker nachgefragt werden. Das sind zum Beispiel die Phasen der Ausbildung, der Partnerschaft, des Berufseinstiegs, der Familiengründung, der Karriere, des Ruhestands und so weiter.
All diese Wendepunkte lösen bestimmte Bedarfe aus. Natürlich sind viele Anbieter interessiert, genau zu diesem Zeitpunkt präsent zu sein und ihre Waren und Dienstleistungen anzubieten. Dass das Marketing sich an solchen Lebensphasen orientiert, ist ein übliches Konzept. Die Daten werden genutzt, um Verbraucher punktgenau im richtigen Moment anzusprechen. In vielen Punkten unzureichend geregelt ist dabei, wer welche Daten wann nutzen darf und wird.
Unternehmen sollten aktiv informieren
Wie kann ich mir einen Überblick verschaffen, wer welche Daten über mich hat?
Diesen Überblick hätten viele gern. Er ist aber praktisch kaum zu bekommen.
Hier liegt das Grundproblem meines Erachtens darin, dass es zwar im Prinzip ein Auskunftsrecht gibt. Wenn Sie aber tatsächlich einmal herausfinden wollen, wer welche Daten in welchen Datenbanken über Sie gespeichert hat, ist das von wenigen Ausnahmen abgesehen unglaublich komplex und mühsam. Die meisten werden gar nicht erst auf die Idee kommen, sich mit viel Zeit an so etwas zu setzen.
Zudem müsste man erst einmal wissen, wer welche Daten hat, auch in anonymisierter oder pseudonymisierter Form, um überhaupt nachfragen zu können.
Umgekehrt wäre es sinnvoll: All diejenigen, die Daten über eine Person direkt oder indirekt verarbeiten, müssten gezwungen sein, regelmäßig darüber zu informieren, welche Daten sie über jemanden haben. In diesem Zug könnten Unternehmen zum Beispiel auch dazu auffordern, zu schauen, ob die Daten aktuell sind.
Das wäre also keine Holschuld durch die Bürgerin oder den Bürger, sondern eine Bringschuld durch die datenverarbeitenden Unternehmen. Dann würde vielen Menschen wahrscheinlich auch bewusster werden, was mit ihren Daten passiert – im positiven wie im negativen Sinn. Hierzu gehörte auch die Information, welche Profile anonymisiert oder pseudonymisiert verarbeitet worden sind.
Wäre das wirklich praktikabel?
Es wäre für die datenverarbeitenden Unternehmen sicherlich ein großer Aufwand. Man hat sich in den Geschäftsmodellen schließlich recht bequem auf die mangelhafte Regulierung eingerichtet, manche funktionieren wohl nur deshalb. Aus meiner Sicht steht es den Bürgerinnen und Bürgern aber zu, dass sie darüber informiert werden und nicht erst mühsam versuchen müssen, sich kundig zu machen. Angesichts einer starken Datenlobby mag der Vorschlag vielleicht etwas unrealistisch klingen. Ein wichtiger erster Schritt wäre es dennoch.
Wenn man eine solche Bringschuld einführen würde, ließe sich auch besser kontrollieren, was mit den Daten geschieht. Wer bewusst mit seinen Daten umgeht, könnte zum Beispiel leichter sagen: Auf diesen Account oder auf jenes Schnäppchen verzichte ich. Die verbleibenden Daten wären gepflegter und aktueller. Man wüsste genauer, wo man sie hinterlassen hat und wo man gegebenenfalls widersprechen kann.
Online und Offline
Macht es in Bezug auf die eigenen Daten noch einen großen Unterschied, ob man online oder offline einkauft, im Internet oder im Supermarkt um die Ecke?
Daten zu sammeln, sie auszuwerten, Profile zu erstellen – all das gibt es in der analogen ebenso wie in der digitalen Welt. Was aber der wesentliche Unterschied ist: Plattformen wie Amazon, Google und andere sind heute in erster Linie Datenhändler. Sie wollen Daten verwerten und der Rest erscheint immer häufiger als nachrangig. Der Supermarkt dagegen hat zum Hauptzweck, offline Güter des täglichen Bedarfs zu verkaufen.
Daraus ergibt sich eine unterschiedliche Interessenlage – je nachdem, ob vor allem Waren und Dienstleistungen verkauft oder Daten verwertet werden sollen. Die Datenindustrie lebt davon, immer breiter und tiefer große Datenmengen zu generieren und möglichst zielgenau auswerten zu können. Ein Supermarkt hat, zumindest heute noch, den Absatz realer Güter im Fokus.
Fehler beim Scoring
Daten über Verbraucherinnen und Verbraucher fließen auch in Bewertungen über sie ein (Scoring). Wie gut funktioniert das überhaupt?
Es gibt sicher Scoring-Systeme, die mit nur wenigen Daten und Kriterien arbeiten. Sie sind dann entsprechend fehleranfällig und können zukünftiges Verhalten nur schlecht einschätzen. Scoringsysteme machen aber nur Sinn und erscheinen seriös, wenn sie ein bestimmtes Verhalten möglichst gut vorhersagen. Dafür braucht es gepflegte Daten und relevante Kriterien sowie eine regelmäßige Qualitätsprüfung. Das betrifft zum Beispiel die Bonität, Versicherungsthemen oder auch Gesundheitsfragen. Scoring betrifft unser ganzes Leben.
Ursprünglich kommen die Scores aus der Kreditwürdigkeitsprüfung. Die ersten Methoden sind bereits vor rund hundert Jahren entstanden, also in der analogen Welt. Solche Systeme können heute als ausgereift gelten. Mit relevanten und qualitätsgeprüften Kriterien lassen sich durchaus gute Voraussagen treffen. Es bleibt aber immer eine Fehlerquote, weil es sich um eine Schätzung aus Vergangenheitsdaten für die Zukunft handelt.
Aus Sicht der Verbraucher besteht das Problem auch hier darin, dass sie häufig gar nicht genau wissen, wer wann welche Scoring-Modelle einsetzt und wo welche Daten über sie vorhanden sind. Auch müssten die Kriterien für solche Scores genauer bekannt sein. Das müssen nicht die genauen Gewichte der einzelnen Faktoren sein, aber zumindest die wesentlichen Aspekte, die in so einen Score eingehen. Geschäftsgeheimnisse würden dadurch nicht tangiert. Diese Chance wird Verbrauchern in Deutschland bis heute nicht gegeben. Man könnte auch sagen: Sie wird absichtlich verweigert.
Wie stark wirkt sich Scoring auf unser Leben aus?
Darüber gibt es leider keine Statistik. Es wäre sehr wertvoll, wenn man wüsste, wie viele Verträge bei Krediten, Mobilfunkanbietern, Versicherungen und so weiter aus welchen Gründen abgelehnt werden, zum Beispiel aufgrund bestimmter Scores. Auch als Wissenschaftler wäre ich daran sehr interessiert.
Es gibt aber keine umfassenden Daten, um solche konkreten Auswirkungen zu bewerten. Viele haben zumindest im Bekannten- und Verwandtenkreis von solchen Fällen gehört oder es gibt fallbasierte qualitative Studien. Gerade bei Versicherungen, Zahlungsdiensten oder Verbraucherkrediten sind die Auswirkungen direkt spürbar.
Das Hauptproblem ist hier, dass Verbraucher den konkreten Grund selten erfahren, warum sie ein Konto nicht eröffnen können, eine Kreditkarte nicht bekommen oder einen Versicherungsvertrag nicht erhalten. Auch wer nachfragt, bekommt häufig keine klare Aussage. Wird ein Vertrag abgelehnt, kann es zum Beispiel auch schlicht an veralteten Daten liegen. Wer einmal bei Auskunfteien wie der Schufa oder Arvato Infoscore nachfragt, wird erstaunt sein: Teilweise sind die Daten uralt und längst obsolet. Mangels klarer Informationen entsteht aber auch eine erhebliche Verunsicherung, da man ja nicht mehr weiß, was einem noch so alles vorenthalten wird.
Sollten auch die Algorithmen transparent sein, mit denen die Daten ausgewertet werden?
Solche Algorithmen sind ja nichts anderes als Abschnitte von Software, die Muster erkennen, Profile bilden und ähnliches. Sie sollten grundsätzlich auf ihre Qualität untersucht werden können. Hierzu gehören bestimmte technische und statistische Mindeststandards – etwa welche Kriterien mit welchen Gewichten geeignet sind, um aus den Daten einen Score zu bilden. Dazu müssten die Algorithmen als solche nicht offengelegt werden, die Anbieter möchten schließlich ihr Geschäftsgeheimnis behalten. Das ist auch nachvollziehbar.
Wer sollte solche Standards überprüfen – der Staat?
Das muss nicht der Staat machen, es könnten auch Dritte beauftragt werden. Zum Beispiel Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die in der digitalen Welt schon heute Systemprüfungen durchführen. Sie könnten zusätzlich den Auftrag erhalten, solche Algorithmen regelmäßig zu überprüfen. Der Ansatz wäre also ein externes, privatwirtschaftlich organisiertes Qualitätsmanagement. Der Staat muss dazu bestimmte klare Vorgaben festlegen, müsste aber nicht selbst prüfen.
Wer mehr über seine gespeicherten Daten wissen will, muss vielen Unternehmen mühsam hinterherlaufen. Besser wäre eine Bringschuld gegenüber den Kunden, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Andreas Oehler.
Unternehmen interessieren sich für ihre Kunden und sammeln Daten über sie. Ist das ein Problem?
Jedes Unternehmen sammelt über seine Kunden bestimmte Daten, etwa um nach einem Verkauf mit ihnen im Kontakt bleiben zu können. Das ist grundsätzlich auch nicht verwerflich. Die Kunden stimmen in der Regel zu, auch wenn sie vielleicht nicht immer ganz bewusst zur Kenntnis nehmen, ob die Daten zum Beispiel weitergegeben werden dürfen oder wie sie ausgewertet werden.
Das Ganze ist so lange in Ordnung, wie die Kunden davon wissen und Einfluss darauf nehmen können, ob und wie ihre Daten verwendet werden, natürlich unter Einhaltung aller Rechtsvorschriften.
Schwieriger wird die Einschätzung, wenn die Daten anonymisiert oder pseudonymisiert weiterverarbeitet werden und aus den Profilen zum Beispiel bestimmte Gruppen gebildet werden. Als Kunde haben Sie das möglicherweise erlaubt. Sie werden dann als Teil einer Gruppe angesprochen – jedoch ohne zu wissen, dass Sie zu dieser Gruppe gehören. Sie merken dies etwa, wenn Sie sich nicht erklären können, warum Sie bestimmte Werbebotschaften erhalten.
Die entscheidende Frage liegt aus meiner Sicht aber eher darin, was Sie alles nicht mehr erfahren, weil Sie in bestimmten Gruppenprofilen stecken.
Marketing für passende Lebensphasen
Der Handel interessiert sich besonders dafür, biografische Wendepunkte vorherzusagen, zum Beispiel eine Geburt oder Hochzeit. Was macht diese Informationen interessant?
Das ist ganz praktisches Marketing, schon in der analogen Welt. Es gibt Lebensphasen, in denen bestimmte Produkte und Dienstleistungen stärker nachgefragt werden. Das sind zum Beispiel die Phasen der Ausbildung, der Partnerschaft, des Berufseinstiegs, der Familiengründung, der Karriere, des Ruhestands und so weiter.
All diese Wendepunkte lösen bestimmte Bedarfe aus. Natürlich sind viele Anbieter interessiert, genau zu diesem Zeitpunkt präsent zu sein und ihre Waren und Dienstleistungen anzubieten. Dass das Marketing sich an solchen Lebensphasen orientiert, ist ein übliches Konzept. Die Daten werden genutzt, um Verbraucher punktgenau im richtigen Moment anzusprechen. In vielen Punkten unzureichend geregelt ist dabei, wer welche Daten wann nutzen darf und wird.
Unternehmen sollten aktiv informieren
Wie kann ich mir einen Überblick verschaffen, wer welche Daten über mich hat?
Diesen Überblick hätten viele gern. Er ist aber praktisch kaum zu bekommen.
Hier liegt das Grundproblem meines Erachtens darin, dass es zwar im Prinzip ein Auskunftsrecht gibt. Wenn Sie aber tatsächlich einmal herausfinden wollen, wer welche Daten in welchen Datenbanken über Sie gespeichert hat, ist das von wenigen Ausnahmen abgesehen unglaublich komplex und mühsam. Die meisten werden gar nicht erst auf die Idee kommen, sich mit viel Zeit an so etwas zu setzen.
Zudem müsste man erst einmal wissen, wer welche Daten hat, auch in anonymisierter oder pseudonymisierter Form, um überhaupt nachfragen zu können.
Wie könnte es besser funktionieren?
Umgekehrt wäre es sinnvoll: All diejenigen, die Daten über eine Person direkt oder indirekt verarbeiten, müssten gezwungen sein, regelmäßig darüber zu informieren, welche Daten sie über jemanden haben. In diesem Zug könnten Unternehmen zum Beispiel auch dazu auffordern, zu schauen, ob die Daten aktuell sind.
Das wäre also keine Holschuld durch die Bürgerin oder den Bürger, sondern eine Bringschuld durch die datenverarbeitenden Unternehmen. Dann würde vielen Menschen wahrscheinlich auch bewusster werden, was mit ihren Daten passiert – im positiven wie im negativen Sinn. Hierzu gehörte auch die Information, welche Profile anonymisiert oder pseudonymisiert verarbeitet worden sind.
Wäre das wirklich praktikabel?
Es wäre für die datenverarbeitenden Unternehmen sicherlich ein großer Aufwand. Man hat sich in den Geschäftsmodellen schließlich recht bequem auf die mangelhafte Regulierung eingerichtet, manche funktionieren wohl nur deshalb. Aus meiner Sicht steht es den Bürgerinnen und Bürgern aber zu, dass sie darüber informiert werden und nicht erst mühsam versuchen müssen, sich kundig zu machen. Angesichts einer starken Datenlobby mag der Vorschlag vielleicht etwas unrealistisch klingen. Ein wichtiger erster Schritt wäre es dennoch.
Wenn man eine solche Bringschuld einführen würde, ließe sich auch besser kontrollieren, was mit den Daten geschieht. Wer bewusst mit seinen Daten umgeht, könnte zum Beispiel leichter sagen: Auf diesen Account oder auf jenes Schnäppchen verzichte ich. Die verbleibenden Daten wären gepflegter und aktueller. Man wüsste genauer, wo man sie hinterlassen hat und wo man gegebenenfalls widersprechen kann.
Online und Offline
Macht es in Bezug auf die eigenen Daten noch einen großen Unterschied, ob man online oder offline einkauft, im Internet oder im Supermarkt um die Ecke?
Daten zu sammeln, sie auszuwerten, Profile zu erstellen – all das gibt es in der analogen ebenso wie in der digitalen Welt. Was aber der wesentliche Unterschied ist: Plattformen wie Amazon, Google und andere sind heute in erster Linie Datenhändler. Sie wollen Daten verwerten und der Rest erscheint immer häufiger als nachrangig. Der Supermarkt dagegen hat zum Hauptzweck, offline Güter des täglichen Bedarfs zu verkaufen.
Daraus ergibt sich eine unterschiedliche Interessenlage – je nachdem, ob vor allem Waren und Dienstleistungen verkauft oder Daten verwertet werden sollen. Die Datenindustrie lebt davon, immer breiter und tiefer große Datenmengen zu generieren und möglichst zielgenau auswerten zu können. Ein Supermarkt hat, zumindest heute noch, den Absatz realer Güter im Fokus.
Fehler beim Scoring
Daten über Verbraucherinnen und Verbraucher fließen auch in Bewertungen über sie ein (Scoring). Wie gut funktioniert das überhaupt?
Es gibt sicher Scoring-Systeme, die mit nur wenigen Daten und Kriterien arbeiten. Sie sind dann entsprechend fehleranfällig und können zukünftiges Verhalten nur schlecht einschätzen. Scoringsysteme machen aber nur Sinn und erscheinen seriös, wenn sie ein bestimmtes Verhalten möglichst gut vorhersagen. Dafür braucht es gepflegte Daten und relevante Kriterien sowie eine regelmäßige Qualitätsprüfung. Das betrifft zum Beispiel die Bonität, Versicherungsthemen oder auch Gesundheitsfragen. Scoring betrifft unser ganzes Leben.
Ursprünglich kommen die Scores aus der Kreditwürdigkeitsprüfung. Die ersten Methoden sind bereits vor rund hundert Jahren entstanden, also in der analogen Welt. Solche Systeme können heute als ausgereift gelten. Mit relevanten und qualitätsgeprüften Kriterien lassen sich durchaus gute Voraussagen treffen. Es bleibt aber immer eine Fehlerquote, weil es sich um eine Schätzung aus Vergangenheitsdaten für die Zukunft handelt.
Aus Sicht der Verbraucher besteht das Problem auch hier darin, dass sie häufig gar nicht genau wissen, wer wann welche Scoring-Modelle einsetzt und wo welche Daten über sie vorhanden sind. Auch müssten die Kriterien für solche Scores genauer bekannt sein. Das müssen nicht die genauen Gewichte der einzelnen Faktoren sein, aber zumindest die wesentlichen Aspekte, die in so einen Score eingehen. Geschäftsgeheimnisse würden dadurch nicht tangiert. Diese Chance wird Verbrauchern in Deutschland bis heute nicht gegeben. Man könnte auch sagen: Sie wird absichtlich verweigert.
Wie stark wirkt sich Scoring auf unser Leben aus?
Darüber gibt es leider keine Statistik. Es wäre sehr wertvoll, wenn man wüsste, wie viele Verträge bei Krediten, Mobilfunkanbietern, Versicherungen und so weiter aus welchen Gründen abgelehnt werden, zum Beispiel aufgrund bestimmter Scores. Auch als Wissenschaftler wäre ich daran sehr interessiert.
Es gibt aber keine umfassenden Daten, um solche konkreten Auswirkungen zu bewerten. Viele haben zumindest im Bekannten- und Verwandtenkreis von solchen Fällen gehört oder es gibt fallbasierte qualitative Studien. Gerade bei Versicherungen, Zahlungsdiensten oder Verbraucherkrediten sind die Auswirkungen direkt spürbar.
Das Hauptproblem ist hier, dass Verbraucher den konkreten Grund selten erfahren, warum sie ein Konto nicht eröffnen können, eine Kreditkarte nicht bekommen oder einen Versicherungsvertrag nicht erhalten. Auch wer nachfragt, bekommt häufig keine klare Aussage. Wird ein Vertrag abgelehnt, kann es zum Beispiel auch schlicht an veralteten Daten liegen. Wer einmal bei Auskunfteien wie der Schufa oder Arvato Infoscore nachfragt, wird erstaunt sein: Teilweise sind die Daten uralt und längst obsolet. Mangels klarer Informationen entsteht aber auch eine erhebliche Verunsicherung, da man ja nicht mehr weiß, was einem noch so alles vorenthalten wird.
Kontrolle der Algorithmen
Sollten auch die Algorithmen transparent sein, mit denen die Daten ausgewertet werden?
Solche Algorithmen sind ja nichts anderes als Abschnitte von Software, die Muster erkennen, Profile bilden und ähnliches. Sie sollten grundsätzlich auf ihre Qualität untersucht werden können. Hierzu gehören bestimmte technische und statistische Mindeststandards – etwa welche Kriterien mit welchen Gewichten geeignet sind, um aus den Daten einen Score zu bilden. Dazu müssten die Algorithmen als solche nicht offengelegt werden, die Anbieter möchten schließlich ihr Geschäftsgeheimnis behalten. Das ist auch nachvollziehbar.
Wer sollte solche Standards überprüfen – der Staat?
Das muss nicht der Staat machen, es könnten auch Dritte beauftragt werden. Zum Beispiel Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die in der digitalen Welt schon heute Systemprüfungen durchführen. Sie könnten zusätzlich den Auftrag erhalten, solche Algorithmen regelmäßig zu überprüfen. Der Ansatz wäre also ein externes, privatwirtschaftlich organisiertes Qualitätsmanagement. Der Staat muss dazu bestimmte klare Vorgaben festlegen, müsste aber nicht selbst prüfen.